— Zum Aushang am Kassenhäuschen

Leap into the Void: Wäre der Titel von Yves Kleins für die Performancekunst wegweisender Fotoarbeit von 1960 nicht auch ein treffender Name für eine Attraktion in einem Vergnügungspark? Welche neuen Erkenntnisse lassen sich über Chris Burdens Performance Shoot (1971) an einem Schießstand auf dem Hamburger Dom gewinnen? In welchem Verhältnis steht die feministische Body Art zu bekannten Illusionsklassikern wie der Dame ohne Unterleib oder der Frau ohne Kopf?

Diese und ähnliche Fragen nach dem Verhältnis von Schaustellerei und Performancekunst standen am Anfang unserer Überlegungen zu Aktionen//Attraktionen. Jetzt ist es bald soweit, und ab dem 22. März kann man unseren „Schau- und Belustigungsbetrieb“, wie das offiziell heißt, für einen Monat auf dem Hamburger Frühlingsdom besuchen – gegenüber vom Riesenrad, in der Schaubude der „Revue der Illusionen“. Mit dabei sind nicht nur random people und geheimagentur, sondern zahlreiche special guests – zum Programm wird es an dieser Stelle regelmäßig Updates geben. Zur Programmatik folgen ein paar Gedanken.

Was hat die Performancekunst auf dem Jahrmarkt verloren?

1. Sich in einer radikalen Geste aus kapitalistischen Verwertungszusammenhängen zu befreien, damit fing alles an –zumindest lautet so ein Ursprungsmythos der Performancekunst. Während die Performancekunst also einmal behaupten konnte, sich durch ihren ephemeren Charakter der Vermarktung im auf Objekte fixierten Kunstmarkt entziehen zu können, ist in Zeiten immaterieller Arbeit und Produktion offenkundig, was der Blick auf den Jahrmarkt sofort gezeigt hätte: hier wird die Vermarktbarkeit von Erlebnissen und Erfahrungen wie an kaum einem anderen Ort evident. Im Vergnügungspark war das schon immer der Fall, heute ist das fast überall so – nicht nur in der Performancekunst. Das bedeutet aber auch, dass es an der Zeit ist, neu über die Verschränkung von Performancekunst und Schaustellerei nachzudenken.

2. Seit ihrer Entstehung hat sich die klassische Performancekunst in einem eigenartigen Spannungsfeld zwischen Alltäglichem und Spektakulärem bewegt. In der Nähe zur Alltagshandlung, in einer Verschränkung von Kunst und Leben, lag für viele PerformancekünstlerInnen der ersten Generation das emanzipatorische Potential der Kunstform. Gleichzeitig stammen insbesondere aus der Entstehungszeit der Performancekunst viele Arbeiten, die gerade ob ihrer Spektakularität ikonischen Status erlangt haben: Arbeiten wie Chris Burdens Shoot oder Marina Abramovičs Rhythm 0 wären hier zu nennen – hier geht es gerade nicht um die alltägliche, sondern um die aussergewöhnliche, einmalige Erfahrung. Eine ähnliche Verschränkung von Alltäglichem und Spektakulärem findet sich auch auf dem Jahrmarkt, wenn auch auf andere Weise. Das Versprechen der Flucht aus dem Alltag und des besonderen Erlebnisses ist immer sofort konterkariert durch das Bewußtsein der Kurzlebigkeit dieser Flucht, und nicht zuletzt durch die Tatsache, dass ständig alle Geld von einem wollen..

3. Alleinstellungsmerkmale der Performancekunst: realness, Unmittelbarkeit, Unwiederholbarkeit. Während das originale Kunstobjekt manchmal noch im Museum landet, ist die Performancekunst in der Zeit verloren. Wenn man auf diesen Merkmalen beharrt, werden die Möglichkeiten der Teilhabe noch radikaler verknappt als zum Beispiel bei einem Gemälde. Wichtig darum, sich an dieser Stelle zu erinnern, dass das auch für Performancekunst nie ausschließlich galt. Man denke z.B. an die Scores und instruktionen der FluxuskünstlerInnen, die dezidiert zum Nachmachen anstiften. Jahrmarktsattraktionen hingegen müssen inhärent wiederholbar sein. Die Schaustellerei operiert, um im Performancekunstvokabular zu bleiben,  oft im Modus des Re-enactments: es gibt nicht nur eine schwebende Jungfrau, nicht nur ein Human Skeleton. Die Darbietungen der Schausteller sind vielleicht im Bereich des Scheins und der Illusionen angesiedelt, doch auch die Dame ohne Unterleib wird zwar als medizinisches Wunder, aber doch als real angekündigt. Unter dem Gesichtspunkt der Vermarktung von Erfahrungen und Erlebnissen sind auch diese Kategorisierungen neu zu überdenken.

4. Um einen Einblick in die Außenwahrnehmung von Performancekunst zu gewinnen, hilft es vielleicht, sich anzuschauen, wie diese in populärkulturellen Zusammenhängen repräsentiert wird, also z.B. im Kino. Nehmen wir den Hollywood-Film Sieben aus dem Jahr 1995: hier wird der Serienmörder für einen Performancekünstler gehalten: „I thought he was a performance artist. The sort of guy that pisses in a cup on stage.“ Performancekunst machen – das erklärt so gut wie jede denkbare Verhaltensauffälligkeit. Anrüchig, marginal, potentiell gefährlich, zumindest in den 90ern galt das noch für Performancekunst, und auch das ist ein Berührungspunkt zwischen Performancekunst und Schaustellerei. Während die Performancekunst aber nach und nach im Mainstream anzukommen scheint, ist vielleicht nicht die Schaustellerei als solche, aber doch die Kunstform der mobilen Schaubude heute vom Aussterben bedroht. Hier sollen neue Allianzen gestiftet werden. Die Schaubude kann aus einem anderen Blickwinkel noch einmal auf ihre künstlerische und gesellschaftliche Aktualität hin untersucht werden, und die Performancekunst öffnet sich auf eine riskante Weise einer prekären Zuschauerschaft – den flanierenden, vergnügungswilligen, nur kurz zu haltenden Gästen des Jahrmarktes.

5. Die besondere Aufführungsform der Schaubude – ständige Wiederholung des Programmablaufs, kurze Einzelauftritte im Rahmen eines längeren Programms – bietet einen Arbeits- und Produktionszusammenhang, in dem die Beteiligten das vom Publikum und den Kollegen erhaltene Feedback sowohl einzeln wie kollektiv in die Modifikation des Programms und der Einzelauftritte einbringen können: eine quasi öffentliche Probebühne, eine konstante Backstage-Situation, ein Labor. Der reibungslose Ablauf, der für das Funktionieren der Schaubude elementar ist, kann hier ins Stocken geraten, und neue Konstellationen können jederzeit entstehen. Deswegen wird auch gelten: jede und jeder, der oder die einmal eine Attraktion oder Aktion im Kontext des Projektes dem Publikum des Jahrmarktes präsentieren möchte, kann immer gerne vorbeikommen und damit vorstellig werden.

 


— Beitrag kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert * . Required fields are marked *

*
*

Login

toptop